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Albanien I

Anna • 31. Oktober 2021

Wunderbare Menschen und Wilder Verkehr

ALBANIEN – Land der… ähhm ja der was eigentlich? Wir hatten so gar keine Ahnung von dem Land, außer ein paar vorsichtiger Nachfragen von daheim, ob es denn da auch sicher sei, einfach so im Bus zu übernachten. Und so fuhren wir, zugegebenermaßen ein bisschen voreingenommen, über die Grenzen dieses uns völlig unbekannten Landes, das – soviel sei jetzt schon mal verraten - zu einem unserer absoluten Lieblingsländer wurde.


Unser erster Anblick, ein paar 100 Meter über die Grenze, waren 3 alte Männer in noch älteren Anzügen, Baskenmützen auf dem Kopf und einem Gehstock in der Hand, die in aller Seelenruhe, mit synchron gebeugten Rücken die Straße überquerten. Ein herrlicher Anblick! Diese Gelassenheit zieht sich übrigens durch viele Facetten der Gesellschaft und der Kultur Albaniens und macht das Reisen dort sehr angenehm, wenn man selber auch ein bisschen Gelassenheit mitbringt.

Was uns am allermeisten an diesem Land faszinierte: Die Menschen dort! So viel Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft waren uns bisher noch nirgends begegnet. Zu Beginn war ich noch ein bisschen skeptisch und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich hinter den Freundlichkeiten nicht nur einmal eine der klassischen Touri-Abzocken vermutete. Dazu eine Anekdote:

Mit unseren zwei Lieblings-Niederländern (siehe Blog-Eintrag Ein Zettel an der Windschutzscheibe) saßen wir gemütlich auf einem Parkplatz in der Hauptstadt Tirana. Mitten auf der Schotterfläche hatten wir es uns mit einem Campingtisch und 4 Stühlen gemütlich gemacht und ein leckeres Frühstück vorbereitet (wie man das halt so macht, in der Hauptstadt, auf einem Parkplatz :P). Da kam plötzlich ein Anwohner aus einem der umliegenden Gebäude auf uns zu. Mein erster (zugegeben: sehr deutscher) Gedanke war: „Der schickt uns jetzt bestimmt weg!“. Stattdessen kam Folgendes: „Hey guys, I´m going to get me a coffee, do you also want one?“ Wieso will uns ein völlig Fremder Kaffee bringen? Da ich die Frage ziemlich ungewöhnlich fand und wir gerade schon selbst am Kaffee kochen waren, lehnte ich dankend ab. Darauf folgten noch drei weitere Nachfragen, ob wir denn wirklich keinen Kaffee von ihm wollen, der sei richtig gut! Aber wir wollten wirklich keinen Kaffee. Ich grübelte noch einige Zeit weiter, ob der junge Mann irgendeinen Hintergedanken verfolgt hat oder wirklich einfach nur nett war. Die Antwort auf diese Frage bekamen wir 20 Minuten später.

Da kam unser albanischer Freund nämlich zurück, in der Hand eine große Flasche mit rosa Getränk darin. Mit einem breiten Grinsen stellte er sie uns auf dem Tisch: Frisch gepresster Granatapfelsaft von seiner Mama! Nachdem wir ja seinen Kaffee nicht wollten dachte er, wir freuen uns bestimmt über Saft - und irgendetwas muss er uns ja schließlich anbieten können! Er blieb dann noch einige Zeit bei uns stehen und wir unterhielten uns mit ihm über das Land, die Geschichte und die Kultur. Und dann ging er von Dannen, ganz ohne irgendeinen Hintergedanken oder böse Absichten. Das hat definitiv einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Solche Dinge sind uns noch häufiger passiert:

  • Bei der Verkäuferin eines kleinen Schreibwarenladens, die uns 10 Klarsichthüllen geschenkt hat, indem sie sie kurzerhand aus einem der Geschäfts-Ordner hinter der Theke heraus nahm - weil wir welche suchten, der Laden sie aber nicht im Sortiment hatte.
  • Der Passant, der uns sofort zu Hilfe geeilt kam und uns mit seinem privaten Handy einen Hotspot zur Verfügung stellte, als wir uns bei einer Tankstelle nach dem WLAN Passwort erkundigten (wir hatten in Albanien keine mobilen Daten) und der Tankwart leider kein Wort Englisch verstand.
  • Der Schuhverkäufer, der auf die Theke kletterte, um uns in einer halsbrecherischen Aktion das WLAN Passwort von seinem an der Decke befestigten Router vorzulesen.

Diese immer wiederkehrenden Erlebnisse haben uns das Land und die Leute immer mehr ins Herz schließen lassen.



Und dann gibt es noch eine zweite Sache, die wir sehr stark mit dem Land verbinden: Der Verkehr.


  • Regel Nr. 1: Wer zuerst kommt mahlt zuerst. Oder in diesem Fall: „Fährt“.
  • Regel Nr. 2: Immer ein Lächeln auf den Lippen und Ruhe bewahren.


Also quasi das genaue Gegenteil des deutschen Verkehrs, in dem immer alles nach Regeln geht, jeder auf sein Recht beharrt und alle sofort aggressiv hupen und drauflosfahren, sobald es mal nicht nach dem eigenen Kopf geht. In Albanien nehmen dir die Leute mit einem breiten Grinsen die Vorfahrt, winken dir aber genauso freundlich zu, wenn du ihnen ihre Vorfahrt nimmst. Alles kein Problem, man muss nur den Verkehr im Blick haben. Ein ganz besonderes Phänomen sind die Kreisel: Hier gilt ganz wörtlich Regel Nr.1: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Man tastet sich einfach langsam an das dreispurige, runde Verkehrschaos heran und schmeißt sich in einem günstigen Moment mit ins Getümmel. Da muss man dann nur noch wieder raus kommen, aber mit Geduld, Aufmerksamkeit und ein bisschen Dreistigkeit kommt man auch schnell und sicher ans Ziel. Auch die „zweispurigen“ Straßen (Zwei Spuren pro Fahrtrichtung) in den Städten haben uns in Erstaunen versetzt. Die rechte Spur ist eigentlich keine wirkliche Fahrspur. Sie ist zum kurz- oder langfristigen Parken gedacht. Wenn man also regulär rechts fährt, muss man jeder Zeit mit einem parkenden Auto rechnen und ausweichen, weshalb diese Spur mehr oder weniger komplett gemieden wird. Auf der eigentlichen Hauptspur hingegen ist Fahren ohne Nummernschild üblich und telefonieren am Steuer quasi Pflicht.


Das mit dem Verkehr hat tatsächlich auch einen historischen Hintergrund: In Albanien gibt es erst seit circa 30 Jahren Autos! Auf einer sehr interessanten Stadtführung erfuhren wir von der extrem strengen Kommunismus-Ära des Landes, in der Autobahnen zwar gebaut wurden, die benötigten Verkehrsmittel aber zu quasi unbezahlbaren Luxusgütern gehörten. Mit dem Ende der kommunistischen Diktatur Enver Hoxhas 1990 fluteten plötzlich alle möglichen Güter und Neuerungen auf das Land ein, darunter natürlich auch PKWs. Und so hatte quasi fast jeder "über Nacht" ein Auto. Dass man zum Fahren aber auch einen Führerschein braucht und wie das mit den Verkehrsregeln genau funktioniert, das kam erst deutlich später im Land an. Und so hat ein Teil der älteren Generation bis heute keinen Führerschein und fährt einfach wie gewohnt immer noch nach Gutdünken.


Zum Zusammenbruch des Kommunismus erzählte uns unser Stadtführer die Geschichte seines Großvaters, der den Großteil seines Lebens in einem streng kommunistischen System gelebt hatte. Nach dem Regierungssturz kam der alte Mann mit den Neuerungen, die in so kurzer Zeit ins Land kamen, nicht mehr mit. Am Anfang weigerte er sich zB noch beharrlich, eine Banane zu essen. Mit der Zeit fand er allerdings Gefallen daran, und so bestellte er bei seinem Enkel, unserem Stadtführer, bei jedem Besuch „eine Banane“. Als der Enkel mit der gewünschten Banane ankam war der Großvater allerdings gar nicht zufrieden. Er wollte doch die rote Banane! Es stellte sich heraus, dass es sich bei roten Banane um Cola handel sollte. Der Großvater kam mit den ganzen Namen der neuen Produkte einfach nicht mehr hinterher. Und so war eben einfach alles Neue einen Banane. Damit dann bei den Besuchen auch das richtige dabei ist, brachte der brave Enkel dem Opa jedes mal einfach ein ganzes Sortiment an Sachen mit – vom Kaugummi über Zigaretten, bis hin zur originalen Banane. Die kommunistische Vergangenheit Albaniens ist unter anderem in den zwei Bunker-Museen „BunkArt 1“ und „BunkArt 2“ sehr detailliert ausgestellt und aufgearbeitet.


Wie schon so oft auf unserer Reise blieben wir ungeplanterweise deutlich länger als gedacht in dem Land. Und nicht nur das, Albanien hat uns so gut gefallen, dass wir gleich zweimal durchgefahren sind – nach einem „kleinen“ Abstecher nach Mazedonien und in den Kosovo - aber das ist eine andere Geschichte.

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